Ganz früh war Inge heute aufgestanden. Hatte ihr doch der Vater versprochen, sie mit zum Angeln zu nehmen. „Ich werde dich sicher nicht munter bekommen“, hatte Vater am Abend zuvor gemeint. Nun war Inge früher auf den Beinen als er. Sie schlich sich zu seinem Bett und rüttelte ihn sanft. „Vati komm, wir wollen angeln gehen“, flüsterte sie, um die Mutter nicht zu wecken.

„Du bist ja ein richtiger Frühaufsteher“, lobte sie der Vater und ging ins Bad. Inge suchte ihre Sachen zusammen und packte ihren Rucksack. Zum Geburtstag hatte sie ihre erste Angel bekommen, die heute ausprobiert werden sollte. Schon lange hatte sie sich gewünscht, ihren Vater zum Angeln begleiten zu dürfen. Endlich war es so weit.

Geschickt befestigte sie den Köder am Haken. „Petri Heil“, wünschte ihr der Vater noch, dann konzentrierten sich beide auf das Geschehen auf dem See. „Sieh, Vater, sieh, ich habe was am Haken“, rief Inge ganz aufgeregt. Es war eine stattliche Plötze, die sie an Land zog. Schon nach kurzer Zeit hatten Beide das Mittagessen zusammen. Heute hatten die Fische gut angebissen. Die Rute wurde ordentlich aufgespult, der Eimer mit dem Deckel verschlossen, es konnte nach Hause gehen. „Vier Fische habe ich gefangen und du nur zwei“, freute sich Inge. Noch einmal ließ sie einen Blick über den See streifen. „Was war das? Vati, hast du das gesehen?“ Der Vater war jedoch noch mit seiner Angel beschäftigt und hatte nichts gesehen „Was war denn?“, fragte er jetzt. „Ein ganz bunter, schillernder Fisch! Er glänzte wie golden!“ Inge lief am See auf und ab und suchte mit den Augen den See ab, leider vergeblich.  Plötzlich hatte sie keine Freude mehr an ihrem Fang, nur der sonderbare Fisch interessierte sie. „Ingelein, es gibt keinen goldenen Fisch, die Sonne hat dir einen Streich gespielt, als sie sich im Wasser spiegelte“, versuchte der Vater zu erklären. Inge aber, ging dieser seltsame Fisch nicht mehr aus dem Kopf. Ihre Gedanken kreisten nur um ihn. „Am nächsten Sonntag gehen wir wieder angeln“, versuchte der Vater seine Tochter zu beruhigen.

Inge tat, als ob sie den Fisch vergessen hatte. „Sicher hast du recht, es wird die Sonne gewesen sein“, gab sie zur Antwort. Bei sich aber dachte sie: „Morgen früh, wenn die Eltern zum Dienst sind, gehe ich zum See“. Inge hatte ihre ersten Schulferien und viel Zeit, sich den Tag zu gestalten.

Als sie am nächsten Tag beim See ankam, brauchte sie nicht lange zu warten, bis sich der goldglänzende Fisch blicken ließ. Herrlich schillerte er in der Morgensonne. Inge zog Schuhe und Strümpfe aus, um ins Wasser zu gehen, so konnte sie dem Fisch etwas näher sein. Erstaunlicherweise kam der Fisch sogar auf sie zu geschwommen und umkreiste sie. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und versuchte ihn zu berühren. Selbst das ließ sich der Fisch gefallen. Inge achtete schon längst nicht mehr darauf, wie weit sie sich vom Ufer entfernte. Ihr Blick war nur auf den Fisch gerichtet. Dieser entfernte sich kaum merklich immer mehr zur Mitte des Sees hin. Plötzlich hatte Inge keinen Boden mehr unter den Füßen und rutschte ab in die Tiefe. Zuerst schlug sie verzweifelt mit den Händen um sich, um Halt zu finden. Dann sah sie wieder den goldenen Fisch und vergaß schnell ihre Situation. „Komm“, lockte jetzt der Fisch, „ich zeig dir mein Seeschloß“. Da sah Inge auch schon ein traumhaft schönes Schloss am Grunde des Sees. Inge trat ein und wurde von dienstbaren Fischen, wie eine Herrin empfangen. Alles verbeugte sich vor ihr. Doch was geschah jetzt mit ihr? Inge fühlte sich plötzlich ganz seltsam. Ihre Arme und Beine bildeten sich in Schwimmflossen um. Sie wollte rufen, wollte den goldenen Fisch fragen, was das solle, konnte es aber nicht. Als sie sich umdrehte, stand ein Mädchen vor ihr, die sprach: „Du hast mich erlöst, jetzt kann ich wieder zu den Menschen. Du musst nun an meiner Stelle ein Jahr hier unten bleiben. Wenn du nach einem Jahr einen Menschen findest, der dir folgt, bist du erlöst und kannst zu deiner Familie zurückkehren. Findest du keinen Menschen, der dir folgt, musst du ein weiteres Jahr hierbleiben.“ Schon war Inge alleine unten im Wasserschloss.

Nach dem Heimweh der ersten Tage, versuchte sie sich in ihrem neuen Reich einzurichten. Jedoch verlor sie das Ziel, nach einem Jahr zu den Menschen zurückzukehren, nie aus den Gedanken.

Als sich der Winter dem Ende zu neigte, das Eis an der Seeoberfläche zu tauen begann, freute sich Inge auf die Rückkehr in die Menschenwelt. Nichts vermisste sie in dem Schloss. Die Fische taten alles, um ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Nur lernte sie hier, auch die Sorgen der Fische kennen. „Stell dir vor, heute hat es meinen Mann erwischt“, beschwerte sich ein Barsch bei einer Plötze. „Nach dem langen Winter sah er nur den Wurm und missachtete die Gefahr der Angel.“ „Nie wieder gehe ich angeln“, nahm sich Inge vor.  Inge verstand sich gut mit den Fischen. Wo sie konnte, half sie, in ihrer Unterwasserwelt. Fast tat es Inge leid, ihre Freunde zu verlassen. Noch eine Nacht, dann durfte sie versuchen ihre Fischgestalt, durch das Anlocken eines anderen Menschen wieder in ihre ursprüngliche Gestalt zurückzuverwandeln. Wie staunte sie jedoch, als sie den nächsten Morgen die Augen aufschlug und alle Fische um sich versammelt sah. „Wir geben dir deine Freiheit wieder. Weil du dich so liebevoll für uns eingesetzt hast. Kehre heim in deine Welt und erzähle von uns! Nie wieder soll ein Mensch hier gefangengehalten werden!“ In diesem Moment löste sich das Schloss auf und Inge befand sich am Ufer des Sees.

„Bin ich doch glatt eingeschlafen“, wunderte sie sich. „Eigentlich wollte ich den goldenen Fisch suchen und beobachten.“ Schnell machte sie sich auf den Heimweg. © Christina Telker

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
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