Vergnügt schlug Ursel die Augen auf. Ein Sonnenstrahl kitzelte sie an der Nase und wünschte ihr einen schönen guten Morgen. „Mutti, Mutti“, rief Ursel, „die Sonne scheint! Gehen wir in den Tierpark?“ „Versprochen ist versprochen“, meinte die Mutti lachend und sah zur Tür herein. „Komm, zieh dich an. Das Frühstück wartet schon, danach kann es losgehen.“ So schnell kam Ursel sonst nicht aus dem Bett. Schon saß sie am Tisch und verzehrte mit Freude ihr Marmeladenbrot.

„Zuerst fahren wir mit der Straßenbahn, stimmts“, plapperte Ursel los, als sie an Muttis Hand das Haus verließ. „Ja, stimmt“, bestätigte diese, „und dann fahren wir noch ein paar Stationen mit dem Bus.“

Endlich waren sie am Ziel. Ursel hielt der freundlichen Frau am Einlass ihre Eintrittskarte hin. „Kennst du denn schon die Tiere?“, fragte diese Ursel. „Natürlich, ich bin doch schon groß“, gab das Mädchen zurück und zeigte vier Finger. Bald würde sie fünf sein. Sie freute sich schon sehr auf ihren Geburtstag. Mutti richtete ihr immer eine kleine Kinderparty aus.

Ursel eilte von Gehege zu Gehege. Überall gab es etwas Neues zu entdecken. „Mutti sieh nur die Affen dort!“, oder „Mutti schau der Pfau, er schlägt ein Rad“, führte Ursel die Mutti durch den Tierpark. Die Häschen hatten sich vor der Sonne verkrochen. Sie lagen im Schatten vor ihrem Hasenstall. „Mutti, was ist das?“, fragte Ursel und zeigte auf die Häschen. „Aber, Ursel, das sind doch Häschen. Siehst du das nicht?“ „Ich sehe nur etwas Wuscheliges, kann es aber nicht erkennen.“ „Na, ist ja auch recht weit entfernt“, tröstete Mutti. Immer wieder hatte sie den Eindruck, als ob Ursel sich bei Dingen, die weiter weg waren, mit der Hand über die Augen rieb, als ob sie es nicht erkennen könnte. „Morgen gehen wir einmal zum Augenarzt, mal sehen, was er zu deinen Augen sagt“, erklärte Mutti ihrer kleinen Tochter. „Er wird dann feststellen, warum du nicht alles erkennen kannst.“ „Ach nein, Mutti, das muss doch nicht sein“, bat Ursel, die diesen Besuch gerne verschieben wollte. Mutti ließ sich jedoch nicht beirren und Ursel war die Freude für den Tag vergangen.

Am nächsten Morgen wollte Ursel so gar nicht aus den Federn. Nun versuchte die Mutti, Ursel ein wenig zu locken: „Wenn du dich beeilst, können wir später vielleicht sogar noch ein Eis essen.“ Das spornte Ursel jetzt doch an. Kurze Zeit später stand sie fix und fertig angezogen vor ihrer Mutti. „Komm, lass uns gehen“, forderte das Ursel jetzt.

Doktor Wolle untersuchte Ursel, sie musste durch ein Großes Fernrohr sehen – jedenfalls kam es Ursel so vor -, dann schaute ihr der Arzt auch noch tief in die Augen. „Dja, Ursel, du brauchst wohl eine Brille“, wandte sich der Doktor jetzt an sie. Anschließend unterhielt er sich noch eine ganze Weile mit der Mutti.  „Komm, wir gehen gleich einmal zum Optiker, um zu sehen, was er für schöne Modelle hat“, lockte Mutti ihre Kleine als sie die Sprechstunde verließen. „Ich will keine Brille“, maulte Ursel jetzt, „ich trage die dumme Brille sowieso nicht. Ich kann gut sehen. Da kommt der Bus!“ „Der ist ja wohl auch groß genug, den kannst du ja wohl nicht übersehen“, neckte Mutti ihr Mädchen.

Beim Optiker legte ein freundlicher Verkäufer Ursel die schönsten Brillen vor. Goldene, silberne und sogar welche mit Steinchen waren dabei. Die schönste war jedoch die Pinkfarbene mit Pünktchen, Ursels absolute Lieblingsfarbe. Heute wollte sie nicht einmal diese. Mutti entschied sich jedoch dafür.

Endlich kam der große Tag, Ursel konnte ihre Brille beim Optiker abholen. Als er ihr den Spiegel hinhielt und meinte: „Du siehst mit der Brille noch viel schöner aus“, hätte sie fast gelacht. Nein und nein, sie wollte keine Brille! Die nicht und auch keine Andere. Wenn Mutti zu Hause war, setzte Ursel brav die Brille auf, ging die Mutti einmal zu einkaufen oder zur Nachbarin, schnell schmiss Ursel wütend die Brille auf den Tisch. Am liebsten hätte sie draufgetreten, aber das wagte sie sich nicht.

Auch der schönste Urlaub geht einmal zu Ende. Der erste Tag im Kindergarten stand bevor. Ursel freute sich schon auf ihre Freundinnen, besonders auf Biggi. Was sie sich so alles zu erzählen hatten, nach den langen Ferien! Da kam ja auch die Freundin schon um die Ecke gebogen! Aber was hatte sie denn da auf der Nase? Ursel wollte es erst gar nicht glauben, umso näher Biggi kam, umso deutlicher erkannte Ursel: „Biggi trug eine Brille!“ Als sie dann Biggi gegenüberstand, stellte sie fest: „Biggi trug ihre Brille! Genau dieselbe wie Ursel.“ „Biggi, du hast ja eine Brille!“, rief sie der Freundin zu, anstatt Guten Morgen zu sagen. „Ja! Aber du hast ja auch eine und noch dazu dieselbe! Da sind wir ja fast Zwillinge!“ Beide Kinder führten einen Freudentanz auf. Stolz gingen sie zusammen in den Kindergarten. Ihre Muttis schmunzelten nur. Ursel trug ab sofort gerne ihre Brille und wollte sie gar nicht mehr absetzen. © Christina Telker

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
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