Das Vogelnest

"Mutti!“, Paula rüttelt aufgeregt an Muttis Schultern, um sie zu wecken. „Es ist schon hell draußen, Oma wird auf mich warten!“, ruft sie. Verschlafen schau die Mutter auf die Uhr. „Mädchen, es ist gerade fünf Uhr. Leg dich noch einmal hin und schlaf noch eine Runde.“ Die Mutter lässt sich zurück auf ihr Kissen fallen. „Mutti, hast du denn vergessen, dass ich heute mit Oma verreise?“ Die Ungeduld in Paula steigt. „Komm, kuschle dich noch ein paar Minuten zu mir und dann machen wir uns gemeinsam fertig, damit ich dich zur Oma bringen kann.“ Mit diesem Vorschlag ist Paula einverstanden.

Wenige Stunden später sitzt sie mit ihrer Großmutter im Zug in Richtung Thüringen. Für die beiden beginnt jetzt eine Woche des gemeinsamen Urlaubs. Viel gibt es zu besprechen. Paula steckt voller Neugier. Immer wieder muss die Großmutter ihrer Kleinen beschreiben, welche Touren sie gemeinsam gehen werden. Paula steckt voller Begeisterung und Erwartungsfreude.

Schon früh am Morgen des nächsten Tages brechen beide auf. Heute geht es zum Inselsberg. „Wir werden einen Weg hinaufgehen, den ich früher einmal mit Opa ging“, erklärt die Großmutter. „Dieser Weg ist zwar ein wenig länger, dafür aber auch schöner. Es gibt genügend Bänke, auf denen wir eine Rast halten können.“ Immer wieder findet Paula etwas am Wegesrand, das ihre Aufmerksamkeit hervorruft. Sie ist so begeistert von all dem, was sich ihren Augen darbietet, dass sie kaum merkt, wie sie höher und höher steigen. Plötzlich bleibt sie stehen, ein tschilpen dicht an ihrer Seite, zieht ihre Aufmerksamkeit auf sich. Auch die Großmutter hat es gehört. Das kann nur ein Jungvogel gewesen sein. Ganz behutsam biegen sie die Zweige des Erlenbusches auseinander, als Paula ein Vogelnest entdeckt. ‚Gut versteckt und doch entdeckt‘, denkt sie bei sich und flüstert es der Oma zu. Diese legt den Finger auf den Mund und sagt gar nichts. Eine Weile stehen die beiden und beobachten das Nest. Dann werden die Zweige des Erlenbusches wieder behutsam geschlossen. Ein kleines Stückchen weiter, auf der nächsten Bank, halten sie Rast. Viel bewegt jetzt die Kleine. „Was war das für ein Vogel? Hoffentlich wird er nicht entdeckt. Drei kleine Vögel! Da hat die Vogelmutter viel zu tun!“ Die Freude, über das gerade erlebte ist so groß, dass Paula es kaum verarbeiten kann. „Ein echtes Vogelnest mit Jungen!“, sagt sie immer wieder.

Als sie den Berggipfel erreicht haben, lässt sie der Ausblick vom Inselsberg jubeln. Immer wieder schmiegt sie sich an ihre Oma und zeigt ihr damit, wie lieb sie, sie hat.

Am Abend auf dem Quartier, ruft Paula als Erstes ihre Mutti an, um ihr vom heutigen Tag zu berichten. Das Telefonat fällt heute etwas länger aus. „Genieße deine Ferien“, sagt die Mutter zum Abschied. „Bald kommst du in die Schule und kannst nur noch in den Ferien verreisen.“

Paula freut sich sehr auf die Schule. Jetzt aber setzt sie sich erst einmal an den Tisch und malt ein Bild, dass sie ihrer Freundin schickt. Natürlich ein Vogelnest. (Christina Telker)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
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