„Schau nur, wie schön!“ Fritz, der gerade von seinem Vater ins Bett gebracht wurde, richtet sich noch einmal auf und blickt verzückt aus dem Fenster. Wie ein blutroter Ball war Frau Sonne gerade dabei den Tag zu beenden. „Ja, das ist wunderschön und morgen früh, wenn du ausgeschlafen hast, steigt auch Frau Sonne wieder aus ihrem Bett, genau wie du.“ Der Junge sieht noch ein Weilchen verträumt in die untergehende Sonne, dann kuschelt er sich an seinen Vater und erinnert ihn an sein Abendmärchen, dass nur Vati so schön erzählen kann. „Komm, leg dich hin und fang schon einmal an zu träumen. Heute habe ich ein ganz besonderes Märchen für dich.

Tief im Wald, wo kaum eines Menschen Fuß hinkommt, gibt es einen Vogel, dessen Gefieder ist glänzend wie Gold und blutrot wie die Sonne vorhin. Wer seinen lieblichen Gesang hört, ist so verzaubert davon, dass er ihn nie mehr vergisst. Wer nur eine Feder dieses wundersamen Vogels besitzt, dem ist das Glück stets hold. Nur sind diese Vögel, man nennt sie Phönix, so schwer zu finden, dass es in tausend Jahren keinem Menschen je gelungen ist. Und nun schlaf mein Liebling und träum etwas Schönes“, flüsterte der Vater, da er bemerkt hatte, dass Fritz bereits eingeschlafen war. Behutsam streichelte des Vaters Hand noch einmal über den Kopf des Jungen.

Als der Junge am Morgen erwacht, erzählt er voll Aufregung seinem Vater den Traum der letzten Nacht.  „Du hast mir vom Phönix erzählt, hast ihn so wunderbar geschildert, dass ich ihn in der Nacht sah. So schön ist kein anderer Vogel“, schwärmte Fritz. „Nun aber genug geträumt, wir wollen frühstücken und dann werde ich dich zur Schule fahren. Heute kommt Mutti von der Kur zurück, dann wollen wir uns einen schönen Nachmittag machen.“ „Juchu, Mami kommt“, jubelte der Junge und hatte auch schon seinen Traum vergessen.

Heute zog sich die Schule wie Gummi. Die Stunden wollten einfach nicht vergehen. Dabei ging Fritz so gerne in die Schule, aber heute kreisten seine Gedanken nur, um den Nachmittag, so freute er sich, seine Mutter endlich wiederzusehen. So viel gab es zu erzählen, was er in der Zeit erlebt hatte. 'Ob Mutti wohl schon zu Hause war, wenn er kam?' Zu gerne hätte er ihre Augen gesehen, wenn sie ankam und sah, wie schön er die Wohnzimmertür geschmückt hatte. Fritz liebte seinen Vater, aber am schönsten war es, wenn beide Eltern daheim waren.

Endlich läutete die Schulglocke, die Kinder stürmten aus der Schule. Peter winkte noch einem Freund zu. „Bis Montag, Fritz“, rief er ihm zu, was dieser erwiderte. Heute nahm Fritz die Abkürzung durch den Park. Die Eltern sahen es nicht gerne, weil es dort unübersichtlich und stellenweise etwas unheimlich war. Mutter sah es lieber, wenn der Junge durch die belebten Straßen des Ortes ging. Aber heute hatte es Fritz eilig, es brauchte ja keiner zu erfahren. Er rannte so schnell er konnte.

'Was war das?' Fritz stutzte. 'Lag da nicht ein Vogel auf der Erde?' Weit und breit war kein Baum zu sehen. So konnte der Kleine auch nicht aus dem Nest gefallen sein. Dass es ein Jungvogel war, erkannte der Junge jedoch auf den ersten Blick. Vorsichtig näherte er sich, um den Vogel nicht zu erschrecken. Dieser versuchte nicht einmal fort zu hüpfen. Fritz hob ihn vorsichtig auf und nahm ihn mit nach Hause. Der Kleine war kaum befiedert, so, dass man noch nicht erkennen konnte, welch einer Art er einmal angehören wollte. Liegenlassen konnte ihn Fritz nicht, hier strolchten auch des Öfteren Katzen umher und dann wäre es um den Vogel geschehen. Nun musste er zwar Farbe bekennen und zugeben, dass er durch den Park gegangen war, aber was war das dagegen, dem Vögelchen das Leben zu retten. Die Gedanken des Jungen kreisten jetzt nur um den Vogel. Was würde er fressen, wo konnte er ihn halten. Im Keller stand noch ein alter Hamsterkäfig, wenn er ihn saubermachte, würde es wohl für die kurze Zeit gehen, bis er den Vogel wieder freilassen könnte. Denn das stand für ihn fest, sobald er gut fliegen könnte, würde er ihm die Freiheit wieder schenken.

Schon hatte er das elterliche Haus erreicht. „Mutti? Mutti!“, stürmte der Junge ins Haus. Wie freute er sich, seine Mutter wiederzusehen. „Mein Großer! Komm her, umarme mich, mein Schatz!“ Erst jetzt sah die Mutter genauer hin und sah, dass Fritz etwas in den Händen hielt, das ihn von seinen gewohnten Liebkosungen mit der Mutter abhielt. „Mutti sieh, ich habe einen Vogel gefunden, dem ich unbedingt helfen muss, weit und breit war kein Nest zu sehen.“ „Hoffentlich schaffen wir es“, meinte die Mutter, als sie sich den Jungvogel etwas genauer ansah. „Er ist ja noch sehr klein und hilflos.“ Fritz setzte den Vogel auf den Boden und holte den Hamsterkäfig aus dem Keller, um ihn zu säubern. Als dies geschehen war, setzte er den Vogel dort, hineinstelle ein Schälchen mit Wasser hinein und mischte etwas Haferflocken, Zwieback und gehacktes Ei und streute dies auf den Käfigboden. Es dauerte nicht lange, da begann der kleine Gast am Futter herum zu picken. Wie freute sich der Junge, dass sein Futter angenommen wurde. Jeden Tag wuchs der junge Vogel ein wenig, auch die Federn bildeten sich aus, so, dass er von Tag zu Tag prächtiger aussah. Nach zwei Wochen konnte Fritz seinen Findling nicht mehr im Käfig halten, da er immer größer wurde. Fritz wurde unruhig. Solch einen Vogel hatte er hier noch nie gesehen. War es ein Phönix, wie Vati es erzählt hatte? Solche Vögel gab es hier nicht. Wie war es möglich, dass gerade ihm ein solcher Vogel vor die Füße fiel? Nach weiteren zwei Wochen stand es fest, Fritz hatte einem Phönix das Leben gerettet. So wunderbar hatte sich der kleine Vogel entwickelt. Nur gesungen hatte er noch nicht ein einziges Mal. Dabei hätte es Fritz doch besonders gefreut, den lieblichen Gesang einmal zu vernehmen, von dem Vater gesprochen hatte. Längst hatte er mit seinem Vater vereinbart, dass sie ihren Vogel in der nächsten Vollmondnacht an der Stelle aussetzen wollten, an der Fritz ihn vor Wochen gefunden hatte. So taten sie es auch. Als Fritz auf der Wiese im Park stand, seine Hände öffnete und sagte: „Flieg mein kleiner Phönix“, da entfaltete der Vogel sein traumhaft schönes Gefieder und starte wie ein Pfeil in den Himmel, dabei ließ er seinen Gesang erschallen, den Vater und Sohn nie in ihrem Leben vergessen werden, so wunderschön war er. Als Fritz auch nicht das kleinste Pünktchen mehr von seinem Schützling sehen konnte, blickte er traurig zu Boden. Da sah er eine Feder vor sich liegen, die an Schönheit von keiner anderen zu übertreffen war. Als der Junge sie aufhob, lag ein Klingen in der Luft, als ob die Feder sagen wollte, 'das ist mein Dank für dich'. Der Junge war überglücklich über dies Geschenk des Vogels. Ihm fehlte es nie an irgendetwas. Was er sich auch vornahm, es gelang ihm. Die Feder begleitete ihn bis ins hohe Alter. © Christina Telker

 
Dies ist eine mit page4 erstellte kostenlose Webseite. Gestalte deine Eigene auf www.page4.com
 
Omas Lesezimmer-Geschichten für unsere Jüngsten 0