„Hui, ist das schön, die kleinen Wolken so vor sich herzutreiben! Und wie hübsch sie aussehen in ihren weißen Kleidchen“, freute sich der Südwind und sauste gleich noch einmal so schnell über die Ebene.

„Mutti, mein Blatt, mein schönes Blatt!“ Katja war den Tränen nahe und rannte ihrem Zeichenblatt hinterher, das sie für Omas morgigen Geburtstag gemalt hatte. Bei dem schönen Wetter hatte Mutti Stifte und Papier nach draußen geholt und einen kleinen Tisch ins Freie gestellt 

Dem Südwind war es eine Freude zu sehen, wie Katja ihrem Blatt hinterherrannte. „Tanzen müssen die Blätter, tanzen“, rief er fröhlich und dachte dabei an die Blätter des Herbstes, die er gerne vor sich her trieb und durcheinander wirbelte. Nun hatte sich das Zeichenblatt am Ginsterbusch verfangen und Katja war glücklich, es wieder in Händen zu halten. „Leg einen Stein auf die Zeichnung“, riet ihr die Mutti, „so stark ist der Wind nicht, es ist ja nur der Südwind.“ Das verdarb dem Wind gleich die gute Laune, wenn er hörte, dass Menschen so über ihn sprachen.

 „Ja, mein Kleiner, damit wirst du dich wohl abfinden müssen“, pfiff der Nordwind, „wer mit weißen Wölkchen spielt und kleine Mädchen neckt, vor dem haben die Menschen keinen Respekt. Dich lieben sie ja geradezu, wenn es heiß ist und du ihnen etwas Kühlung bringst, sind sie dir dankbar. Sieh mich an, vor mir haben sie Respekt. Wenn ich ihnen die Wäsche von der Leine reiße, an ihren Fenstern rüttle und ihnen so das Frieren beibringe, dass sie sich den Mantelkragen hochschlagen. Ja, da bin ich doch ein anderer Geselle!“ „Das stimmt schon, ich finde es jedoch schön, wenn die Menschen sich über mich freuen. Gerne bringe ich ihnen die ersehnte Kühlung, nach der Sommerhitze. Ein wenig necken, macht mir Freude, ärgern möchte ich die Menschen nicht.“

„Ihr habt doch beide nichts Rechtes drauf! Seht mich an“, fauchte plötzlich der Sturm in die Unterhaltung. „Ich reiße die Ziegel von den Dächern, werfe starke Äste von den Bäumen und lasse große Zelte zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Wenn ich durch die Straßen fege, verkriechen sich die Menschen in ihren Häusern.“ „Auch du bist nicht der Stärkste“, gab der Nordwind zu bedenken, „auch wenn du dich noch so aufbläst.“

„Das stimmt allerdings“, mischte sich jetzt fauchend der Orkan ins Gespräch. „Gegen meine Leistungen seid ihr alle Schwächlinge! Wenn ich komme, bringe ich Häuser zum Einsturz, entwurzele die stärksten Bäume und werfe Autos um. Wer sich bei mir noch auf der Straße blicken lässt, wird fort gerissen. Mich fürchten die Menschen!“ Auch die drei Brüder fürchteten ihren Älteren und schwiegen still.

Als der Südwind wieder alleine war und seine Brüder weitergezogen waren, dachte er:  ‚So wie sie möchte ich niemals werden. Und vielleicht reiße ich beim nächsten Mal Katja nicht mehr ihr Blatt weg, sondern spiele nur ein wenig mit ihren Zöpfen.' © Christina Telker

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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