Der Wind hatte sie gerade auf diesen Platz geweht, konnte man denken, wenn man am Wege vorüberging. So einsam stand dieses Tulpenpaar in der Morgensonne. Stolz und erhaben streckten sie ihre Blüten der Sonne entgegen. Sie waren unzertrennlich, die Beiden. Waren sie doch aus einer Zwiebel gewachsen. Sie liebten sich innig, wie es bei Zwillingen üblich ist. Die anderen Tulpen hatten sich längst zur Ruhe begeben, nur diese Beiden, taten als würde ihr Leben ewig dauern. Kein Welken bemächtigte sich ihrer. `Wir sind die Schönsten weit und breit`, begrüßten sie sich jeden Morgen, wenn die Sonne aufging. Sie alleine wussten, wie sie gerade an diesen Platz gekommen waren und wer ihnen die Kraft gab, so unermüdlich zu blühen. Doch eines Tages sollte sich dies ändern. Als wieder einmal die Sonne aufging, sah sich die zuerst erwachte Tulpe nach allen Seiten um, um ihre Schwester zu begrüßen. Wo war sie nur geblieben, über Nacht? Verwelkt konnte sie nicht sein, dann ständen ihre Überreste noch neben ihr. Nun entdeckte die Tulpe voll Schrecken den gekappten Stiel ihrer Schwester. Ein Dieb hatte sie über Nacht entführt, während sie schliefen. Traurig sah sie zur Sonne empor, die Freude am Tag war ihr vergangen. Nie wieder würden sie gemeinsam den Tag begrüßen. Die letzte Tulpe senkte traurig ihr Köpfchen und verabschiedete sich. In diesem Frühling wollte auch sie nicht mehr blühen. © Christina Telker

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
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